| Ein Artikel von Markus Neumann |

KI-basierte Personalisierung von B2B E-Commerce

Der B2B-E-Commerce boomt. Immer mehr Unternehmen im B2B-Umfeld setzen auf digitale Beschaffungs- und Vertriebswege, um ihre Geschäftsbeziehungen zu optimieren und damit oftmals auch ihre Geschäftsmodelle (digital) zu transformieren. Maßgeblichen Anteil an diesem “Siegeszug des B2B E-Commerce” hat die zunehmende (und offenbar dringend erforderliche) Personalisierung des B2B E-Commerce, deren Möglichkeiten und Fähigkeiten durch künstliche Intelligenz (KI) bzw. KI-basierte Tools stetig steigen. In diesem Artikel wollen wir daher genauer anschauen, warum gerade der B2B-Handel auf maßgeschneiderte digitale Angebote angewiesen ist und wie KI ebenjene Personalisierung ermöglicht.

Ja, der B2B E-Commerce boomt. Endlich, möchte man sagen. Wir haben uns bei Mages Consulting in den vergangenen Jahren intensiv mit der Digitalisierung von B2B-Geschäftsprozessen auseinandergesetzt. Nicht selten haben wir gut umgesetzte Shoplösungen an mangelnder Nutzerakzeptanz scheitern sehen. Doch die Zeiten haben sich geändert. Aktuelle Zahlen zeigen, dass sich der Onlinehandel im Investitionsgütergeschäft sowohl aus Käufer- als auch aus Verkäufersicht zunehmend etabliert und immer mehr Unternehmen die Vorteile von E-Commerce für sich entdecken. So nutzt heute bereits jeder zweite B2B-Einkäufer (50%) häufig Onlineshops für Bestellungen, während dies vor zwei Jahren nur ein gutes Viertel der Befragten (28%) angaben [1]. Geht man auf Ursachenforschung, stößt man schnell auf eine wohl wenig überraschende Erkenntnis: der pandemiebedingte, annähernde Stillstand des (physischen) Geschäftslebens bzw. dessen Verlagerung in Home Office und Teams Calls in den vergangenen dreieinhalb Jahren, führte zweifelsohne zu einer massiven, wenn auch nicht freiwilligen Akzeptanzsteigerung digitaler Beschaffungs- und Vertriebskanäle im B2B. Während 2019 knapp zwei Drittel (62%) aller Produkte im B2B-Geschäft online gekauft wurden, sind es heute bereits drei Viertel (75%) [1].

Doch die coronabedingte Verschiebung des Geschäftslebens ins Digitale allein reicht als Erklärung für den aktuell zu beobachtenden “Siegeszug des B2B E-Commerce” nicht aus. Vielmehr zeigt sich bei genauerer Betrachtung, dass sich entsprechende E-Commerce Angebote in den vergangenen Jahren auch auf qualitativer Ebene deutlich weiterentwickeln und damit ihre Attraktivität für relevante Nutzersegmente erhöhen konnten. Eine entscheidende Rolle dabei spielen immer bessere und umfangreichere technologische Möglichkeiten der Personalisierung von Ein- und Verkaufsprozessen. Diese zielt auf eine maßgeschneiderte Ansprache und individuelle Gestaltung von Produktempfehlungen, Preisen und Angeboten basierend auf den spezifischen Käuferbedürfnissen ab. So können Verkäufer die Effizienz ihrer bestehenden Verkaufsprozesse sowie durch steigende Käuferakzeptanz das (online) Verkaufsvolumen insgesamt langfristig erhöhen. So ist es auch nicht überraschend, dass heute bereits zwei von drei B2B-Unternehmen auf personalisiertes Marketing setzen [2]. Blick man jedoch auf die letzten - sagen wir zehn - Jahre der Digitalisierung des B2B-Handels zurück, stellt man fest, dass gerade aus Käufersicht E-Commerce Angebote häufig nicht, nur vereinzelt oder höchstens ergänzend zu etablierten offline Kanälen genutzt wurden. Was hat sich also in den letzten ein bis zwei Jahren verändert, dass mittlerweile 90 % der B2B-Käufer sogar angeben [3], dass sie Marken den Rücken zukehren, wenn deren digitale Kanäle nicht mit ihren Anforderungen Schritt halten? [1]

Quelle Foto: Alexander Mages Consulting Quelle Foto: Alexander Mages Consulting

B2B-Handel war schon immer hoch personalisiert - jetzt ist auch die Technologie bereit  

Auf der Suche nach Antworten ist es zunächst wichtig festzustellen, dass B2B-Handel schon immer hoch personalisiert war - Onlineshops der ersten Generation konnten dies häufig nur (noch) nicht abbilden. Während private Käufer bereits um die Jahrtausendwende fasziniert waren von der Möglichkeit, standardisierte Massenprodukte wie Bücher und DVDs (liebe Millennials, so hieß Netflix früher mal) online bei Amazon zu bestellen, konnten B2B-Käufer auch ein bis zwei Jahrzehnte später in den meisten verfügbaren B2B-Onlineshops nach wie vor keine langfristig verhandelten Rahmenverträge, individuelle Preislisten oder flexible Zahlungsbedingungen abrufen. Dementsprechend gering war die Bereitschaft, online Beschaffungswege zu nutzen und umso größer die (naheliegende) Versuchung, eingespielten “offline” Bestellwege zu nutzen - Telefon und Fax lassen grüßen. Sicher, auch die häufig als Ursache für die geringe Akzeptanz digitaler Lösungen im B2B-Umfeld genannten “kulturellen Hürden” standen und stehen auch heute noch oftmals einer zügigeren Digitalisierung im Wege. Unserer Praxiserfahrung nach waren es jedoch meist fehlende (technologische) Möglichkeiten, häufig hochkomplexe und spezialisierte B2B Vertriebs- bzw. Beschaffungsprozesse in mehr oder weniger ausgereiften, aus betriebswirtschaftlicher Sicht auf Standardisierung abzielenden und häufig aus der B2C-Welt stammenden, Shopsystemen digital abzubilden.

Doch gerade im Rahmen eben jener benötigten Personalisierung bietet der Onlinehandel entscheidende Vorteile gegenüber dem klassischen, “physischen” Handel, von welchen sowohl Anbieter als auch Käufer profitieren können. Und wie es in einem Beitrag über Digitalisierung nicht anders zu erwarten wäre, kommt hier die KI in Kombination mit einer stetig steigenden Datenmenge, resultierend aus der zunehmenden Nutzung digitaler Vertriebskanäle, ins Spiel. Durch die Integration von KI und Data Analytics können Verkäufer ihre Kundengruppen zielgenauer segmentieren, deren Kaufverhalten analysieren, individuelle Präferenzen und Bedürfnisse identifizieren und letztendlich in personalisierte Angebote übersetzen. Doch wie genau sehen diese personalisierten Angebote für B2B-Käufer aus? Und welche konkreten Beschaffungstätigkeiten können durch den Einsatz von KI-basierten Lösungen effektiv personalisiert werden?

 

Anwendungsfälle KI-basierter Personalisierung im B2B E-Commerce

Sofern der entsprechende Anbieter bzw. Marktplatz bereits gewählt wurde, beginnen - wie im Konsumentengeschäft wohl auch - die meisten B2B-Beschaffungsvorhaben entweder mit der Suche nach geeigneten Produkten und Dienstleistungen oder mit entsprechenden Produktempfehlungen des Anbieters. Durch die Analyse von Suchanfragen, Kaufhistorien und dynamischen Kundenprofilen können (potenziellen) Käufern personalisierte Suchergebnisse und Empfehlungen geliefert werden. Dabei geht die Suchfunktion über einfache Stichwortsuchen hinaus und ermöglicht vielmehr eine intelligente Verarbeitung von Suchanfragen, indem sie semantische Analysen, maschinelles Lernen und NLP (Natural Language Processing) einsetzt. Dadurch kann die Search Engine auch ungenaue oder komplexe Anfragen verstehen und relevante Ergebnisse liefern, indem beispielsweise Synonyme und ähnliche Begriffe erkannt und in die Suche einbezogen werden. Bei späteren (Wieder-) Käufen können mittels Auswertung vergangener Suchanfragen zudem individuelle Produktempfehlungen generiert werden. Gängige Lösungen heutzutage können darüber hinaus auch weitere, kontextbezogene Kriterien berücksichtigen, wie beispielsweise die Branche, die Unternehmensgröße oder die spezifischen Anforderungen des Kunden. So wird B2B-Kunden die Navigation durch das oft unübersichtliche und umfangreiche Produktangebot erleichtert, was zu einer verbesserten Kundenerfahrung und einem insgesamt effizienten Kaufprozess führt. Sie erhalten genauere Suchergebnisse und relevante Empfehlungen, was letztendlich Zeit und Aufwand für den Kunden spart und so im Idealfall die Kundenzufriedenheit und Conversion Rate erhöht. Gleichzeitig ermöglicht es Anbietern, ihre Verkaufschancen zu erhöhen, indem sie gezielte Empfehlungen abgeben und Kunden an relevante Produkte heranführen.

Ist das passende Produkt dank KI-basierter Suche und Empfehlungen schnell und effizient gefunden, stellt der Preis bzw. stellen die gesamten Beschaffungskosten häufig eines der entscheidenden Kaufkriterien für B2B-Käufer dar. Da die Preisgestaltung im Investitionsgütergeschäft meist nicht (ausschließlich) nach Listenpreisen erfolgt, sondern vielmehr eine Vielzahl weiterer kunden- und marktspezifischer Kriterien die Preisbestimmung beeinflussen, kommt einer (kunden-) individuellen Preisgestaltung in B2B-Onlineshops eine entscheidende Bedeutung zu. So analysieren KI-gestützte Pricing-Tools mittlerweile eine Vielzahl von Datenpunkten wie die Beschaffungshistorie des Kunden, Vertrags- und Zahlungsbedingungen (z.B. langfristige Rahmenverträge) sowie aktuelle Markttrends und das Wettbewerbsverhalten. Diese Analyse hilft dabei, Muster und Zusammenhänge in Kundenverhalten und Marktentwicklungen zu erkennen, relevante bzw. preisspezifische Kundensegmente zu definieren und automatisch personalisierte Preise für jeden Kunden zu berechnen und anzubieten. Auch in komplexeren Preisfindungsprozessen wie Vertragsverhandlungen oder Auktionen, im B2B-Geschäft nicht unüblich, kann KI mittlerweile dabei helfen, den Verhandlungsprozess zu unterstützen und für beide Seiten faire und vorteilhafte Vereinbarungen zu erzielen.

Neben der operativen Beschaffungsebene bieten KI-gestützte E-Commerce Lösungen Käufern (und meist auch Verkäufern) immer häufiger auch Unterstützung im Rahmen der strategischen Beschaffung. Insbesondere im Bestands- und Supply-Chain-Management ermöglichen KI-gestützte Analysen eine genauere Vorhersage der Nachfrage- und Versorgungssituation, sodass Unternehmen ihr Bestands- und Beschaffungsmanagement optimieren und Engpässe vermeiden können. Konkret können KI-gestützte Algorithmen beispielsweise historische Verkaufsdaten, die erwartete Kundennachfrage und saisonale Trends analysieren, um genaue Prognosen für die zukünftige Nachfrage zu erstellen. Diese Prognosen können Unternehmen dabei helfen, Lagerbestände besser zu planen, Über- oder Unterbestände zu vermeiden und Lieferzeiten zu verkürzen. Durch die Analyse von Daten wie Transportzeiten, Lagerkapazitäten und Lieferantenauslastung können KI-basierte E-Commerce Lösungen B2B-Käufer bei der Lieferantenauswahl sowie der Bestimmung der besten Bestell- und Lieferzeitpunkte unterstützen. Dies ermöglicht es den Unternehmen, Beschaffungs- und Kapitalkosten zu optimieren, Lieferzeiten zu verkürzen und so letztendlich auch wieder die Kundenzufriedenheit zu steigern. Aus Sicht der strategischen Beschaffung ist zudem auch das Risikomanagement von Bedeutung. So kann KI Käufern dabei helfen, Risiken in der Lieferkette frühzeitig zu erkennen und darauf zu reagieren. Durch die Analyse von Daten wie Lieferantenleistung, Markttrends und Wettervorhersagen können frühzeitig potenzielle Engpässe, Störungen oder andere Risikofaktoren erkannt und proaktiv Maßnahmen ergriffen werden, um derartige Risiken zu minimieren und die Geschäftskontinuität sicherzustellen.

 

Fazit: KI ermöglicht den lang ersehnten Siegeszug des B2B E-Commerce, aber…

Die beschriebenen Anwendungsfälle KI-basierter Personalisierung im B2B zeigen, wenn auch nur ausschnittsweise, wie immer “intelligentere” Algorithmen zur datenbasierten Analyse und Prognose von Käuferverhalten und Marktentwicklungen die lange Zeit geringe Akzeptanz digitaler Beschaffungswege im Investitionsgütergeschäft nachhaltig erhöhen können. Während Käufern durch maßgeschneiderte Kauferlebnisse effizientere, nutzerfreundlichere und gerade auch im Lichte der aktuellen Weltwirtschaft oftmals weniger risikobehaftete Beschaffungsprozesse ermöglicht werden, können Anbieter die Zufriedenheit ihrer Kunden steigern, die Kundenbindung stärken und so langfristig ihren Umsatz erhöhen. Dies zeigt, dass die Vorteile KI-gestützter Personalisierung im B2B-Handel sowohl auf Käufer- als auch Verkäuferseite liegen und - sofern richtig umgesetzt und genutzt - beiden Seiten zu langfristigen Geschäftserfolg verhelfen können.

Mit Blick auf die weitere Entwicklung sollte jedoch nicht übersehen werden, dass noch gewisse Hürden und Herausforderungen bestehen, die es zu berücksichtigen und zu überwinden gilt. So hängt zum einen die Genauigkeit und Zuverlässigkeit KI-basierter Personalisierungsmöglichkeiten maßgeblich von der Verfügbarkeit relevanter Daten ab. Gerade im B2B-Umfeld liegen viele dieser Daten jedoch auch heute noch oftmals nur schwer zugänglich in veralteten, unternehmensinternen IT-Systemen (Stichworte: Insellösungen und Datensilos) verborgen und stehen somit auch den besten KI-Algorithmen nicht zur Verfügung. Hier ist jedoch davon auszugehen, dass die zunehmende Verbreitung cloud-basierter ERP-Systeme im Allgemeinen sowie die eingangs beschriebenen steigenden Nutzungsraten von E-Commerce Lösungen im Konkreten, diese bisher ungehobenen “Datenschätze” nach und nach zugänglich machen werden. Neben der für einen effektiven Einsatz von KI erforderlichen Datenverfügbarkeit spielt auch die Qualität vorhandener Daten eine entscheidende Rolle. So können beispielsweise fehlende oder fehlerhafte Daten, gerade in dynamischen und sich aus einer Vielzahl von Quellen speisenden Datensätzen keine Seltenheit, die Suchgenauigkeit in Onlineshops oder die  Zuverlässigkeit personalisierter Kaufempfehlungen maßgeblich beeinflussen. Doch auch hier bietet die Technologie bzw. KI selbst immer bessere und zuverlässigere Möglichkeiten der Datenbereinigung, indem beispielsweise fehlende Werte oder fehlerhafte Daten anhand statistischer Methoden geschätzt und ersetzt werden.

Abschließend lässt sich also festhalten: ja, der B2B E-Commerce boomt und maßgeblichen Anteil daran haben immer präzisere und umfangreichere Möglichkeiten zur Personalisierung des Kauferlebnisses, ermöglicht durch künstliche Intelligenz. Unternehmen im B2B-Umfeld, sowohl in Ihrer Rolle als Käufer und Verkäufer, sollten die Potenziale von KI für personalisierten Onlinehandel erkennen, entsprechenden Technologien offen, aber nicht unkritisch gegenüberstehen und diese gut geplant und strategisch in ihren Vertriebs- und Beschaffungsprozessen einsetzen. Denn auch wenn es lange nicht danach aussah: der Siegeszug des B2B E-Commerce hat gerade erst begonnen und letztendlich wird Jean-Paul Agon, CEO von L’Oréal, mit seinem bekannten Zitat auch bezogen auf den B2B-Handel Recht behalten: “E-Commerce ist nicht die Kirsche auf der Torte. Es ist die Torte”>. [4]

 

Quellen

[1] SANA B2B Buyer Report 2023, abrufbar unter: Wie Sie 2023 (und danach) fit für B2B E-Commerce werden

[2] IFH Köln / Intellishop B2B E-Commerce Konjunkturindex 2023, abrufbar unter:

B2B E-Commerce Konjunkturindex

[3] Adobe, E-Commerce Trends für B2B und Erfolgswege für 2023, abrufbar unter:

E-Commerce-Trends für B2B und Erfolgswege für 2023.

[4] Abrufbar unter:

L’Oreal CEO - ‘E-commerce isn’t the cherry on the cake, it’s the new cake’

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Markus Neumann

Nach einer Stammhauslehre bei Siemens Mobility hat Markus die letzten acht Jahre in führenden Digitalberatungen gearbeitet und insbesondere mittelständische Unternehmen im B2B bei deren digitaler Transformation begleitet.

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Nach einer Stammhauslehre bei Siemens Mobility hat Markus die letzten acht Jahre in führenden Digitalberatungen gearbeitet und insbesondere mittelständische Unternehmen im B2B bei deren digitaler Transformation begleitet. Markus Schwerpunkt liegt auf der Strategie- und Geschäftsmodellentwicklung. Durch ein kürzlich abgeschlossenes berufsbegleitendes Masterstudium in nachhaltiger Unternehmensführung hat er ein tiefes Verständnis darüber, wie die Digitalisierung nachhaltiges Wirtschaften ermöglichen kann. So ist es auch kein Zufall, dass er neben seinem Job bei Alexander Mages Consulting - den er 100 Prozent remote aus Thailand bewältigt - eine organic Farm in Thailand aufbaut.